Erschienen in der Luzerner Rundschau, 28. März 2013
Die gebürtige Bernerin Manuela Jost ist seit einem halben Jahr im Stadtrat als Baudirektorin. Morgen Freitag feiert sie ihren 50. Geburtstag. Die GLP-Politikerin ist ein Tausendsassa. Die Liste der Freizeitaktivitäten auf ihrer Homepage ist schier endlos, auch Familie und Freunde sind ihr wichtig. Ob das als Stadträtin alles unter einen Hut zu bringen ist? Wir haben nachgefragt.
Wie lange haben Sie in der letzten Nacht geschlafen?
Die letzte Nacht… das ist jetzt aber eine persönliche Frage… etwa sechs Stunden.
Eine «Durchschnittsnacht»?
Ja, das ist etwa die Zeit, die ich brauche.
Viel mehr bleibt Ihnen wohl kaum?
Die Zeit ist limitiert, das stimmt. Aber ich habe immer noch das Gefühl, genügend Zeit für mich, meine Hobbys, meine Familie und meine Freunde zu haben.
Aber Sie sind schon ein «Tausendsassa»?
Ja, ich bin vielseitig interessiert und mache verschiedene Sachen.
War das schon als Kind so?
Obwohl ich schon immer vielseitig interessiert war, hatte ich durchaus meine Schwerpunkte, auch in der Schule. Als es darum ging, mich für einen Beruf oder ein Studium zu entscheiden, stand ich vor vielen offenen Türen. Ich musste nach dem Ausschlussprinzip vorgehen.
Wie hat das Prinzip Ausschlussverfahren zur Ethnologie geführt?
Ursprünglich wollte ich, wie wohl viele Mädchen, Tänzerin werden. Diesen Traum stellte ich während dem Gymnasium aber zurück. Dann kam ein anderes Hobby dazu. Wir sind mit unseren Eltern viel durch kulturelle Städte gereist. Die Archäologie hat mich damals unglaublich fasziniert, wie man halbe Städte ausgraben kann und so den alten Kulturen und unserer eigenen Geschichte auf die Spur kommt. Weil ich für Archäologie aber nebst dem Latein auch noch Griechisch hätte nachbüffeln müssen, entschied ich mich für Ethnologie als Hauptfach.
Wie kam es dann zum eher abrupten Wechsel, dem weiterführenden Studium in Nationalökonomie?
Ich habe in den ersten Studienjahren die Erkenntnis gewonnen, dass mich insbesondere die wirtschaftlichen Zusammenhänge in den Kulturen interessierten. Ich wollte mehr über die Ökonomie dahinter erfahren. Das konnte mir weder die Ethnologie noch die Archäologie bieten. Deshalb wechselte ich zur Volkswirtschaft.
Mit dem Ziel einer ganzheitlichen Ansicht?
Ich hatte immer die Tendenz, Aspekte oder Fragestellungen interdisziplinär anzuschauen. Erst daraus ergibt sich das Ganze.
Wie gelang danach der Einstieg ins Berufsleben?
Der öffentliche Einsatz für die Gemeinschaft zog mich schon früher an. Darum war für mich bald klar, dass ich zum Bund wollte. Nach sieben Jahren in der Aussenwirtschaft bekam ich die Möglichkeit, zum Bundesamt für Umwelt zu wechseln. Dabei lag mein Fokus auf der Zusammenarbeit mit Europa und Entwicklungsländern. Als Ökonomin war für mich die wirtschaftsverträgliche Regelung wichtig.
Wieder ein interdisziplinäres Spannungsfeld.
Die Wirtschaft alleine, das Gefühl hatte ich immer, ist nur ein Teil des Bildes, wenn auch ein wichtiges. Wie kann man mit der Wirtschaft Entwicklungs- und Umweltziele erreichen? Oder, wie kann man mit der Wirtschaft das Gesamtwohl der Schweiz verbessern – nicht nur die volkswirtschaftlichen Kennzahlen? Das hat mich interessiert.
Wie sind Sie, als gebürtige Bernerin und in Bern arbeitende Frau, nach Luzern gekommen?
Ich zügelte 1999 nach Luzern und pendelte danach sieben Jahre lang. Es gibt wohl nur zwei Gründe, um seinen Wohnort zu wechseln: die Arbeit oder die Liebe. Bei mir war es die Liebe.
Ganz offensichtlich hat es Ihnen hier so gut gefallen, dass Sie sich schon bald politisch engagierten. Was gab den Ausschlag, von der «Hinterbühne» Bund zur «Vorderbühne» Politik zu wechseln?
Ich war politisch immer sehr interessiert, nie aber parteipolitisch aktiv. Ich hatte bei keiner Partei das Gefühl, mit meinen ökologischen und gleichzeitig wirtschaftlichen Interessen meinen Platz zu finden. Als die GLP Kanton Luzern 2008 gegründet wurde, dachte ich mir: ‹Ja, ich trete dieser Partei bei. Mal schauen, was sie bringt.›
Sie konnten sich danach dem Sog der Politik gar nicht mehr entziehen?
Die Politik, im konkreten eine Stadt mitzuprägen, hat etwas sehr faszinierendes.
Mit dem Grünen und dem Liberalen weist die GLP zwei Gegensätze auf. Auf der einen Seite das Liberale mit der Freiheit des Einzelnen und auf der anderen Seite das Grüne mit dem Aspekt der Normativität, dem Vorschreiben einer «guten» Lebensart. Wie lässt sich das vereinbaren?
Ich war immer der Auffassung, dass das Liberale wichtig ist. Es appelliert stark an die Eigenverantwortung. Die Ökologie muss ein Teil dieser Verantwortung bleiben, der Staat kann dafür höchstens optimale Rahmenbedingungen setzen. Die Tendenz, die Verantwortung zu schnell dem Staat abzuschieben ist höchst gefährlich. Man muss dem Einzelnen bewusst machen, dass er eine ökologische, aber auch eine soziale Verantwortung wahrzunehmen hat. Der Staat soll nicht vorschreiben, was ein «gutes» Leben ist.
Der freie, liberale Mensch, der zugleich ökologisch und sozial denkt. Braucht es dann überhaupt noch Politik?
Wenn es uns nicht mehr braucht, tant mieux, umso besser. Wenn es im Idealfall so ist, dass jeder seine Verantwortung wahrnimmt, auch ausserhalb der helvetischen Grenzen, kann man die staatlichen Regulierungen tatsächlich tief halten. In Bereichen, in denen der Einzelne überfordert ist, geht es aber nicht anders. Den Tatbeweis, dass wir soweit sind, haben wir leider noch nicht erbracht.
Wie nimmt man die «politische Identität» in den Stadtrat mit?
Ich bringe auf jeden Fall meine Überzeugung mit, wie auch meine vier Kolleginnen und Kollegen. Das soll auch so sein. Der Wille, zusammen etwas zu erreichen, ist aber viel grösser als gewisse eigene Überzeugungen.
Dass das funktioniert, ist aber alles andere als selbstverständlich?
Das ist offenbar so, aber bei uns funktioniert es.
Sie sind in der Baudirektion. Das war ja nicht unbedingt ihr Wunsch-Ressort?
Ich habe im Vorfeld der Wahl erwähnt, dass ich grundsätzlich für jede Direktionen offen wäre. Klar war ich stark im Bildungs- und Kulturbereich engagiert. Da haben mich im Vorfeld viele in der Bildungsdirektion gesehen. Ich habe nun aber eine Direktion, die unglaublich viele spannende Bereiche hat und in denen etwas mitgestaltet werden kann. Die Wohnraumpolitik, die Bau- und Zonenordnung, die Stadtentwicklung. Dazu gehören auch viele kleine Fragen, die enorm wichtig sind für die Stadt Luzern, wie beispielsweise die Stadtqualität oder die ökologische Bauweise. Die Baudirektion ist meine Lieblingsdirektion (lacht).
Das Leben als dauernder Quereinstieg?
Das stimmt. Das Neue hat mich immer fasziniert. Wobei ich beim Bund einen ganz klassischen Weg gemacht habe.
Was für eine Rolle spielt Yoga in ihrem Alltag?
Ich starte jeden Tag mit Yoga, am Morgen früh zwischen 6 und 7.15 Uhr. Das ist mein heiliger Moment. Yoga ist eine Lebenshaltung, davon kann ich den ganzen Tag profitieren. Ich nehme zum Beispiel gewisse Dinge etwas gelassener.
Wie sind Sie zum Yoga gekommen?
Anfangs 90iger Jahre kam die Yogabewegung relativ neu in die Schweiz. Ich hatte damals eine Kollegin, die die erste Yoga-Schule in Bern eröffnete. Ich dachte zwar, Yoga klingt mir eher etwas zu esoterisch, ging dann aber doch mal vorbei. Es hat mich vom ersten Moment an gepackt.
Yogabegeisterung ganz ohne Indien?
Das ist richtig. Ich war nie die Aussteigerin, die durch Indien getrampt und in diesen Ashrams rumgehangen ist. Yoga muss man im Hier und Jetzt leben.
Sie werden morgen Freitag 50 Jahre alt, was wünschen Sie sich zu Ihrem Geburtstag?
(überlegt lange) Das ist eine Frage, die mir im Moment viel gestellt wird. Mir ist wichtig, dass mein Umfeld und ich gesund und zufrieden sind und bleiben. Diese Gesundheit ist der Schlüssel, damit ich mich aktiv engagieren kann und hoffentlich auch dem einen oder anderen etwas mit auf den Weg geben kann. Sonst? Ich bin jemand, der das Leben eher im Moment denkt, das gehört eben auch zum Yoga (lacht).
Ihre Vision von Luzern?
Wohnen und Arbeiten müssen noch besser zusammengeführt werden. Wir brauchen zudem eine bessere Durchmischung beim Wohnen und müssen die Familien wieder zurück in die Stadt holen. Wichtig wird auch sein, dass wir die jungen Leute mit ihren Ideen hier behalten. Diese Ressource, das junge, innovative und auch mal etwas aufmüpfige Gedankengut müssen wir noch geschickter behandeln und nutzen.
Die Stadt als grosser Tisch, an dem alle mitreden können?
So ist es. In dieser Stadt sollen auch Querdenker etwas zu sagen haben. Für junge Ideen und für Innovationen müssen wir bessere Rahmenbedingungen schaffen. Luzern muss das noch mehr auszeichnen – das ist meine Vision.
Bild: Nick Schwery