Erschienen in der Luzerner Rundschau, 29. November 2013
Zwei Künstler kehren für eine Ausstellung in die Stadt ihrer Jugend zurück. Die 44-jährige Mimi von Moos spricht im Interview über die „botoxdurchsetzte Fratze der alten Lady Lucerne“, die Kunst und die kommende Ausstellung.
„Es bewegt sich“ ist eine Ausstellung von Mimi von Moos und André Wilhelm, die vom 13. bis 29. Dezember in der Kornschütte stattfindet. Für die beiden Künstler ist es eine Heimkehr in die Stadt ihrer Jugend: „So kommen wir zurück und nehmen es noch einmal auf mit der durchgelifteten, botoxdurchsetzten Fratze der alten Lady Lucerne. Wir wollen unsere Erfahrungen, unsere Wünsche, unsere verwaschenen und durchgebürsteten Utopien im Herzen dieser Heimatstadt aufblühen lassen.“ Darüber wollte ich mehr erfahren, und traf Mimi von Moos auf einen Tee:
Kontemplation oder Aktion?
Oh, vielleicht genau dazwischen! Meine Arbeiten kommen aus einem kontemplativen Bedürfnis heraus, sie entstehen aus einer Ruhe, aus einer Stille heraus. Wenn sie dann in die Öffentlichkeit hinaus treten, gibt es eine Reibung.
Suchst du diese Reibung bewusst?
Die suche ich auch, ja. Das, was ich erlebe, versuche ich der Realität entgegenzustellen, in der wir alle Leben. Ich denke, es geht letztendlich immer darum, wie man die Gesellschaft sieht und wo man sie vielleicht auch anders betrachten kann, als es gang und gäbe, als es üblich ist.
Du bist in Luzern aufgewachsen. In was für einer Realität lebst du?
Ich bin irgendwie überall aufgewachsen, auch im Wallis. Aber ich fühle mich schon als Luzernerin. Was soll ich denn jetzt erzählen … turbulente Jugend in Luzern.
Inwiefern turbulent?
Wilde Punk-Zeiten mit dem Sedel und Kiffen Unter der Egg.
Wie muss man sich diese Zeit vorstellen?
Wir waren alle extrem grenzenlos. Der Unterschied zu heute ist vielleicht, dass wir uns abgegrenzt haben gegen die Generation unserer Eltern. Gegen diese Welt haben wir uns gewehrt. Wir wollten eine Gegenbewegung, die zum Teil ziemlich selbstzerstörerisch war. Jetzt gehöre ich selber zu der Generation der Eltern von damals, und ich spüre diese Abgrenzung nicht mehr – zum Glück, denn ich geniesse das sehr.
Was war so selbstzerstörerisch damals?
Es wurde halt alles exzessiv betrieben. Es wurde exzessiv gesoffen, es wurde gekifft. Ich bin dann zum Glück nicht viel weiter gegangen – darum lebe ich noch. In der Punkszene aus den 80er Jahren sind viele Leute entweder „düregheit“ oder an Drogen oder Krankheiten gestorben.
An welchem Punkt hast du dich von dieser Szene entfernt?
Ich bin einfach weg von Luzern. Ich ging mit 20 Jahren nach Köln und habe dort Schmuckdesign studiert. Als ich vier Jahre später wieder zurückgekommen war, hat mir das nicht mehr gepasst. Auch die Leute von früher, das war irgendwie nicht mehr mein Ding.
Wie kamst du dazu, Schmuckdesign zu studieren?
Ich habe schon immer Schmuck gemacht. In den 80er Jahren habe ich ihn auf der Gasse in Luzern verkauft (lacht). Die Leute von damals können sich bestimmt noch an mich erinnern, ich wurde zu so etwas wie einer kleinen Lokalberühmtheit mit einem kleinen Schmuckkasten.
Schmuck klingt ja irgendwie konform – das war dein Schmuck damals aber auf keine Weise?
Damals hat man so riesige Klunker getragen und riesige Gürtel und Ketten. Das war sehr wilder Schmuck, ich habe mit Aluminium, Leder, Plexiglas und Fundstücken gearbeitet. Ich denke, das war für mich eine Art Anker, um nicht richtig abzustürzen. Das hat mir sehr geholfen, es war kreativ …
Machst du heute immer noch Schmuck?
Nein, ich habe damit aufgehört und Kunst studiert.
Davor hast du vom Schmuck gelebt?
Ja, das war mein Beruf. Ich habe Kurse gegeben, kleine Produktionen gemacht, auch Einzelstücke gefertigt und Ausstellungen organisiert.
Was hat den Ausschlag gegeben, damit aufzuhören und mit 40 Jahren ein Studium zu beginnen?
Ich war nicht mehr ganz glücklich. Wie soll ich sagen … der zeitgenössisch bzw. der experimentelle Schmuck, der in den 80er und 90er Jahren noch ziemlich angesagt war, bekam immer weniger Raum. Es wurde für mich immer schwieriger zu verkaufen. Ich habe dann dementsprechend begonnen, kommerzieller zu denken und habe immer weniger das gemacht, was mich wirklich interessiert.
Der Schmuck wurde konform.
Ja, die Zeiten haben sich echt geändert. Es wurde in den letzten Jahren extrem schwierig, einen angemessenen Preis für handwerkliche Arbeit zu bekommen. Das Schmuck-Business ging mit dem chinesischen und indischen Schmuck total den Bach hinab. Dann habe ich mich entschieden, zu meinen Wurzeln zurück zu gehen. Denn eigentlich wollte ich ja schon immer Kunst studieren (lacht). Ich habe mich nur nicht so richtig getraut, das brauchte etwas Mut.
Woher kommt dein Bedürfnis, Kunst zu machen?
Meinst du, was Kunst für mich bedeutet?
Nein, eher, woher dein Wunsch kommt, dich kreativ zu betätigen?
Das war schon immer so. Ich habe mich eigentlich immer als künstlerischer Mensch definiert, ich habe das gar nie in Frage gestellt. Ich sehe mich als gar nichts anderes.
Hat dich das Studium dabei bestärkt?
Das Studium war meeega toll. Ich habe wirklich Nahrung für meinen Geist bekommen. Es wurden Fragen aufgeworfen, die ich mir im stillen Kämmerlein schon lange gestellt habe. Gesellschaftliche, philosophische Fragen über die Welt, wie wir mit der Gesellschaft umgehen … oh Gott, du stellst mir Fragen (lacht). Du willst alles so genau wissen!
Es interessiert mich einfach!
Also, philosophische Fragen. Zum Beispiel auch nach der Bedeutung von Sachen. Zu begreifen, wie eine Gesellschaft aufgebaut ist, was das gestalterische Bedürfnis des Menschen ist.
Also hast du die Fragen deiner Jugend, die du damals mit Taten und Äusserlichkeiten, mit Abgrenzung beantwortet hast, in deinem Studium auf eine andere Ebene transformieren können?
Ja. Was sich in diesem Prozess verändert hat ist der Wille zur Teilhabe an der Gesellschaft. Früher definierte ich mich über die Opposition, heute ist es eher ein Gestalten wollen. Ich glaube, das ist der Unterschied.
Wie sieht deine künstlerische Arbeit aus?
Ich glaube nicht, dass ich einen Stil habe. Was ich fantastisch finde an der Kunst ist, dass man Fragen stellen und ihnen nachgehen kann. Nicht, um sie zu beantworten, aber um sie genauer kennen zu lernen. Sie von allen Seiten anzusehen, in die Tiefe zu gehen. Man erfährt dabei unglaublich viel.
Wie du ein Thema angehst ist also abhängig von der Fragestellung?
Genau, absolut. Das Thema bestimmt das Medium. Zum Beispiel hat mich mal die Sammelwut interessiert. Wieso sammle ich wertlose Gegenstände?
Im Projektvorschlag für Luzern hat es dieses tolle Zitat: „die durchgeliftete, botoxdurchsetzte Fratze der Lady Lucerne“. Kannst du das erklären?
lacht) Früher, als ich an der Stadthofstrasse gelebt habe, haben wir uns alle immer etwas verarscht gefühlt, weil die Stadt nicht wirklich uns gehört hat. Sie hat damals schon den Touristen gehört, sie wurde für sie hergerichtet. Ich habe Luzern als Fassadenstadt empfunden, als grosses Einkaufszentrum für Touristen. Ich sage das jetzt sehr radikal. Ich glaube, die Luzerner leiden alle etwas unter dem intensiven Tourismus. Unterdessen gibt es aber viele tolle Sachen, z.B. dieses Kaffee. Das hat es in den Achtzigern nicht gegeben.
Das Projekt, zusammen mit André Wilhelm, setzt sich mit dieser Fassadenstadt auseinander?
Wir beziehen uns beide auf diese Stadt. Es ist für beide eine Rückkehr.
Im Projektvorschlag ist auch von einer Utopie die Rede. Wie sieht deine Utopie für Luzern aus?
Das habe ich mir jetzt ehrlich gesagt nicht überlegt. Da habe ich noch gar nicht darüber nachgedacht. Ich habe kein Gegenmodell aufgestellt … nein, habe ich nicht. Die Weiss [Die Weiss sind die Ausstellungsobjekte von Mimi von Moos, es sind 3 Meter lange, mit Helium gefüllte Ovale] kommen eher aus einer Sehnsucht heraus.
Was für eine Sehnsucht ist das?
Es ist ein Leerraum. Das sind ja so riesige Gebilde, die weiss sind. Und weiss bedeutet für mich keine Information. Ich hatte mal so ein Flash auf der Skipiste. Ich stand inmitten eines Schneesturmes und sah nur noch weiss, ich hatte keine Orientierung und fühlte gleichzeitig Panik und Faszination. Dieses dumpfe weiss, in dem ich steckte, hat mich nie mehr losgelassen. Immer, wenn mich zu viele Sinnesreize überfluten, denke ich an weiss. Das ist eine Art innere Erholung für mich.
Etwas Kontemplatives.
Ja, so ist es auch wirklich gemeint. Die Weiss sollen in die Hektik des Dezembers eine Ruhe, eine Leere hineinbringen. Ich möchte damit einen Raum schaffen, der vielleicht auch mal die Frage ermöglicht: „Muss das eigentlich alles so sein?“
Wollen die Menschen diese Frage überhaupt stellen können?
Ich glaube, das ist ein Bedürfnis von vielen Menschen. Weihnachten, insbesondere die Vorweihnachtszeit, ist vielen Menschen schlicht zu viel. Das ist schade. Besonders tragisch daran ist, dass die Leute, welche arm sind, sich noch ärmer fühlen, dass die Leute, welche sich einsam fühlen, sich noch einsamer fühlen. Das ist genau das Gegenteil von dem, was Weihnachten eigentlich sein soll. Im Grunde genommen ist es eine Allianz von religiöser Tradition und wirtschaftlichen Interessen, die recht perverse Ausmasse angenommen hat, wie ich finde.
Wie kam es zur Zusammenarbeit mit André Wilhelm?
Hast du unseren Blog gesehen?
Nein.
Wart schnell (nimmt ihr Smartphone in die Hand und sucht nach etwas). Das muss ich schnell zeigen (sucht). Wo ist es jetzt? Da! Das war 1986, Andrew Wilhelm und Mimi von Moos (lacht).

In meinem Geburtsjahr.
(lacht noch mehr) Ja das ist ein altes Polaroid, ich finde es so abgefahren. Wir kennen uns von dort. Er hat mich für die Ausstellung im Dezember eingeladen.
Du wolltest mit deinen Weiss in den öffentlichen Raum – das wurde abgelehnt. Warum?
Wir mussten eine Projekteingabe machen, die in dieser Form abgelehnt wurde, Wir wollten ursprünglich eine mega bewegliche Ausstellung machen. Wir wollten die Ausstellung in der Kornschütte ständig verändern (lacht). Das wäre sehr aufwändig gewesen. Es ging uns darum, eine Ausstellungspraxis zu versuchen, die komplett anders ist.
Wie genau?
Wir wollten die Verhältnisse zwischen Betrachter und Künstler aufheben. Es gibt ja normalerweise diese starre Haltung: da ist der Künstler, da ist der Besucher, da ist der Raum und dahinter ein Kurator, der das alles managet. Der Besucher geht rein, schaut sich um, versteht nur ein Drittel und geht wieder hinaus. Wir hätten gerne einen Ort, an dem etwas passiert, wo Diskussionen entstehen, wo die Leute sich gerne aufhalten, es geniessen, Sachen zu sehen die herumschweben, oder einen Tisch, der ständig eine neue Dimension bekommt, den man auch mal als Bühne braucht.
Das wurde also alles abgelehnt?
Ja, das war brutal.
Was macht man in so einem Moment?
Ich musste sachlich bleiben und erfahren, was sie genau nicht wollten. Und dann einfach irgendwie beim Inhalt bleiben und trotzdem versuchen, weiter zu machen. Es hat ja auch Vorteile, jetzt müssen wir nicht so viel arbeiten (lacht).
Wie muss sich der Besucher die Ausstellung nun vorstellen?
Sie wird sinnlich und immer noch ungewöhnlich sein. Die Bilder werden nicht an Wänden hängen – es gibt keine Wände, also werden sie einfach im Raum herum stehen. Es werden riesige, schwebende Gebilde umherschweben.
Zumindest diese bleiben beweglich?
Die bleiben beweglich, man kann sie auch berühren, stupsen, anstossen, bewegen. Ich glaube, es wird ein ästhetischer Genuss. Die Idee ist noch immer, dass man sich dort aufhalten kann. Das man nicht nur hinein und wieder hinaus eilt, sondern das man findet: „Ach, da bleibe ich noch etwas, da gefällt es mir“.