Johanna!


Erschienen in der Luzerner Rundschau, 29.03.2013

Das Ausrufezeichen steht nicht umsonst im Titel, es ist tatsächlich Programm. Johanna! greift den Stoff der Jeanne d’Arc auf und fordert damit dem Zuschauer im Luzerner Theater viel ab, gibt ihm aber noch mehr zurück.

Johanna! von der Regisseurin Sabine Auf der Heyde ist kein Stück im klassischen Sinne, dafür fehlt die konkrete Handlung. Viel mehr ist es eine Verdichtung, eine Auseinandersetzung mit einer historischen Person, einer Heldin, einem Mythos – der Johanna von Orléans, bei uns besser bekannt als Jeanne d’Arc, die 1412 als Tochter einer wohlhabenden französischen Bauernfamilie mitten in den Hundertjährigen Krieg geboren wurde.

Johanna, vielschichtig gespielt durch Daniela Britt, Jeanne Devos, Iana Huber, Wiebke Kayser und Juliane Lang, hatte mit 13 Jahren erste Visionen. Die heilige Katharina, der Erzengel Michael und die heilige Margareta befahlen ihr, Frankreich von den Engländern zu befreien und den Dauphin zum Thron zu führen. Mit 17 Jahren zog sie in den Kampf, um diese Mission zu erfüllen. Krönte, wie prophezeit, den Dauphin zum König, starb aber bereits mit 19 Jahren auf dem Scheiterhaufen, nachdem sie bei Paris in Gefangenschaft geriet und später in Rouen vom Bischof als Ketzerin verurteilt wurde.

Der Stoff wird so vielschichtig und mutig umgesetzt, dass sich der Zuschauer gelegentlich an die Wand gespielt fühlt. Kurz zuvor rutscht er noch ungeduldig auf dem Theatersessel hin und her, weil der absurd lange und sich stets wiederholende Prozess gegen Johanna derart aufreibend ist, dass er ihn am liebsten verlassen würde. Es sind diese Tempo- und Perspektivenwechsel, die das Stück so interessant, so existenziell machen. Es ist eine Politikerin (Le Pen) zu sehen, die Johanna für nationalistische Zwecke instrumentalisiert, die Schauspielerinnen schlüpfen auch mal aus der Rolle und reflektieren als reale Menschen über Übersinnliches. Glauben Sie an Wunder? Dazwischen sind Zitate von Menschen aus dem Off zu hören, die sich weder vom System noch von Rollenmustern knechten lassen und ihre «Mission» verfolgen – ob als Whistleblower, Terrorist oder Nationalheld. Dann Johanna, die im absurden Prozess einen nicht zu brechenden Willen beweist und vor keiner Folter zurückschreckt, dass dem Zuschauer im Range bange wird – auch, weil das Stück dann und wann zu provozieren weiss. Vor ihrem Tod ist Johanna entblösst, wirkt gebrochen und im wahrsten Sinne ausgezogen. Unter klerikalen Gesängen wird sie auf den Scheiterhaufen geschickt. Eine «Burn the Witch» Fahne wird gezeigt. Und aus ist das Spiel.

Ausgezeichnet untermalt wird das Stück mit der Livemusik von Jacob Suske, der gleichzeitig auch den richtenden Bischof spielt. Es ist ein dröhnender Klangteppich, der den Zuschauer zusätzlich in die Ecke drängt. Dort angelangt, kann er gar nicht mehr anders, als sich mit dem Stoff und dessen Adaption auseinanderzusetzen. Dass das auch eine Last sein kann, der nicht jeder Gast gewachsen ist, zeigten einige Premierenbesucher, die die Vorstellung frühzeitig verliessen. Wer sich aber dieser Herausforderung stellt, der wird mit einer Darbietung belohnt, die unter die Haut geht und zur Auseinandersetzung mit sich, der Welt und ihren Helden und Mythen anregt. Auch, weil man spürt, dass die Schauspielerinnen sich voll und ganz in der Reflexion über Johanna verlieren und ihr so ein beeindruckendes, vielschichtiges Gesicht verleihen. Das ausharrende Publikum dankte dieser Meisterleistung mit einem langanhaltenden, zuweilen frenetischen und immer warmen Applaus.

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