Mama. Bums. Unterhaltung.


Erschienen auf kulturteil.ch und zentralplus.ch, 8. März 2016.

Südpol, 23.09.2016: Das Theater Aeternam, Luzerns fixer Stern am freien Theaterhimmel, schickt  «Einige Nachrichten an das All». Mit Klamauk und Tiefe bahnt sich das Stück vor ausverkauften Rängen einen Weg durch die Fragen des Menschseins und vermittelt den Zuschauern dabei im Vorbeigehen das flüchtige Gefühl des Glücks, bei der Premiere mit dabei gewesen zu sein.

Grosser Saal im Südpol, an den vier Wänden Podeste und Stühle, auf welchen sich die Zuschauer niederlassen, ein ToiToi, ein Wasserspender und eine Bar. Im Licht zwei Hirten, Josef und Maria, mit einem Tücherklumpen, so gross wie ein Säugling. «Einige Nachrichten an das All» beginnt mit der Weihnachtsgeschichte und folgt den ihr inhärenten Fragen nach Leben und Tod, nach Hoffnung und Erlösung. Dieser Weg folgt keinem klassischen Handlungsstrang, es poppen Geschichten auf, die in ihrer Zusammenhangslosigkeit die Verlorenheit des Menschen widerspiegeln, der ungefragt das Licht der Welt erblickte und sich aus seinem Dasein einen Reim machen muss. Der Mensch, verloren in Raum und Zeit, immer auf der Suche nach Sinn in einer in seine Einzelteile zerlegten Welt. Ganz nach dem Credo des Stückes: «Wir befinden uns in einer Explosion, ihr Ficker.»

Mit viel Klamauk, Trash und Überzeichnung werden die einzelnen Teile des Textes von Wolfram Lotz inszeniert, ohne die Balance zwischen Lächerlichkeit und Ernst zu verlieren, mit Bildern, Musik und Wortgewalt, stets gut getimt (Regie: Ursula Hildebrand) und mit Schauspielern, die auf der ganzen Linie zu überzeugen wissen. Getragen werden die Geschichten von den omnipräsenten Krüppeln Lum und Purl – die selbst nie wissen, was sie eigentlich in diesem Theaterstück machen und sich nichts anderes als ein Kind wünschen, um ihrer Existenz Sinn zu verleihen – und Maria und Josef, welche die Fussnoten (ja, dieses Theaterstück hat Fussnoten!) zum Leuchten bringen.

Im Verlauf des Stücks erzählt ein Mann, seine Geschichte vom Verlust seiner Tochter Hilda, bevor die Leiterin des Fortgangs (LDF), beständig gegen die Leere anrennend, das Zepter übernimmt und ihre Gäste die Nachrichten («In einem Wort soll es gesagt sein») an das All in das Mikrofon sprechen lässt. Immer wieder flackern Geschichten auf, Menschen mit Schicksalen, die einen Platz in der Welt suchen. Da ist die dicke Frau, die im Gefühl, ein Rosenstrauch zu sein Trost erfährt und kurz, nur ganz kurz eins gewesen war mit der Erde. Da kommt die historische Figur Constantine Samuel Rafinesque vor, ein Botaniker und Ichthyologe, der nach einer Sprache sucht, die alles und nichts zugleich bedeute, weil alles andere eine Lüge sei. Rafinesque wird selbst zum Lügner, als er diese Sprache für seine Mutter wieder zurück übersetzt, weil sie doch verstehen will, was er macht. Er ist es auch, der die erste Nachricht an das All sendet: «Mama». Da tritt ein Politiker auf, der alle um den Finger zu wickeln weiss:«Bums». Da erscheint, ganz frisch im Reich der Toten, Bernd Heinrich Wilhelm von Kleist, zynisch und weltfremd, der sich nicht für ein Wort an die Ausserirdischen entscheiden kann, da die Sprache die Welt nicht fassen könne. Für den Autoren springt dann die zappelige, nie ruhende LDF in die Bresche, die ihre Nachricht ans All schickt:«Unterhaltung».

Wo liegt nun der Sinn des Lebens? Mama. Bums. Unterhaltung. Die Unterhaltung rennt dieser Frage davon. Das Bums – Zynismus und sprachphilosophisches Gegrübel? – scheint Garant für Unzufriedenheit zu sein. Da sich das Christkind im Verlauf des Abends als Mogelpackung entpuppt, bleibt nur die Mama; bzw. die Liebe. Sinn scheint dem Menschen das Leben nur dann zu machen, wenn er für jemanden da sein kann. Oder aber im Negieren all dieser Fragen nach dem Warum, mit dem das Stück endet und die Türen zur Welt da draussen wieder öffnet: «Das Wetter ist eigentlich recht schön.» Der Zuschauer wird entlassen aus dem Mikrokosmos, in dem er sich für kurzweilige zwei Stunden befunden hat. Ein Mikrokosmos, in dem er auch die Pause verbringen musste, in der aber für alle Bedürfnisse gesorgt wurde (Vodka!, Zigis!, ToiToi!) und die dem Spiel keinen irritierenden Unterbruch bescherte, sondern den Zuschauer vielmehr definitiv ankommen liess in einer isolierten Welt, in der mit allen Möglichkeiten des Theaters nichts als die Welt vorgegaukelt wurde. Eine Welt, so traurig und schön, so lustig und fordernd wie sie uns täglich erscheint. Das ist Theater, das glücklich macht, ohne etwas vorzugaukeln und Erkenntnis bietet, ohne sie aufzudrängen. Das Gefühl, das Josef in einer Fussnote beschreibt, dürfte am Schluss der Vorstellung jeder Gast sein eigen nennen: «Es ist wie ein elektrischer Stoss, das Glück, es fährt hinein, ganz tief ins Herz. Aber wenn es da angekommen ist, ist es fort.» Der Applaus hört kaum auf. Die Suche hingegen geht weiter.

Text: Wolfram Lotz
Regie: Ursula Hildebrand
Ausstattung: Nina Steinemann
Licht: Martin Brun
Maske: Dorothea Stich
Grafik: Erich Brechbühl
Technik: Martin Finsterle

Spiel: Franziska Bachmann Pfister, Christoph Fellmann, Patric Gehrig, Nicole Lechmann, Mathias Ott, Marco Sieber, Wolfram Schneider-Lastin  und Iva Vaszary

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