Kolumnen


Erschienen in der Luzerner Rundschau, 24.04.2014

Kräne für Luzern

Und jetzt hat Zürich also tatsächlich einen Hafenkran! Einen dieser anmutigen Riesen mit tentakelartigen Beinen, darauf eine Führerkabine und einen langen, phallusgleich in die Höhe gestreckten Arm. Rostig ist er, der erregte Riese, der so einsam an der Limmat steht und viele Blicke auf sich zieht. In der Schweiz, in der kein Esel alleine gehalten werden darf, ist das eine Zumutung! Wo bleibt da die artgerechte Haltung, die Hafenkrankolonie?

Debattiert wird zwar über Sinn und Unsinn, einen Hafenkran an einem hafenlosen Gewässer zu platzieren, über Geld, wie immer, nicht aber darüber, wie sich der Riese wohl selber fühlt, der, dem Tod geweiht, schon Anfang 2015 wieder abmontiert wird und dann auf der Schrotthalde landen soll. Kaum zu glauben, nicht wahr?

Darum fordere ich den Luzerner Stadtrat auf, den Hafenkran Anfang 2015 nach Luzern zu holen – und mit ihm einige ausrangierte Artgenossen gleich dazu. Die Luzerner, durch die vielen Touristen fernwehtechnisch überstrapaziert, wüssten diese stoischen Riesen zu schätzen. Sie würden sich in der Ufschötti oder etwas reussabwärts, zum Beispiel beim St. Karli, dem anmutigen Anblick hingeben, Seemannsmusik aus den kofferähnlichen Lautsprechern hören und friedlich von Frachtschiffen, Hafenstädten und der weiten Welt träumen. Es würden Hafenspelunken eröffnet und anstelle sinnentleerter Flugshows würde sich der Stadtrat für eine Frachtschiffshow am Luzerner Fest aussprechen. Die wäre dem armen Bürger betreffend Lärm, trotz brummenden Schiffshorn, auch zuzumuten.

Bis dahin bleibt nur eines: das Exil. Auf nach Hamburg. Zum Beispiel.


Erschienen in der Luzerner Rundschau, 20.03.2014

Weltflucht

Manchmal hilft nur noch der Ausbruch. Die Flucht. Dann, wenn du das Gefühl hast, dich wie der Hamster im Rad namens Alltag zu drehen. Der Alltag flimmert an dir vorbei, nur du stehst still wie die alte Pendeluhr im Estrich. Dann, wenn all die Leute an einem schönen Frühlingstag in Luzern die Promenade und die Altstadt derart verstopfen, dass der Schein der Leuchtenstadt für dich im Nu verblasst. Dann, wenn du dich schon wieder ohne wirklichen Grund deinem Computer / Laptop / Smartphone versklavt und dich in den Tiefen des Internets verlierst. Dann, wenn du deinen Computer am liebsten verprügeln würdest, weil er schon wieder nicht macht, was du willst.

Dann flüchte – und begebe dich auf eine kleine Stadtwanderung. Erklimme die Stufen des Hexenstiegs gleich hinter dem Bourbaki. Via Felsbergstrasse und Abendweg biegst du in den Geisterweg ein. Hexen und Geister, der erste Schritt der Weltflucht ist getan. Über die Dreilindenstrasse gelangst du in den Konsipark. Viel Grün, wunderschön komponierte Baumgruppen, künstliche Ruinen, Marmorstatuen und die beiden aus der Zeit gefallenen Gebäude des Konservatoriums. Töne aus klassischen Instrumenten schweben in der Luft. Such dir eine Parkbank, verweile und geniesse. Nur einige wenige Hündeler drehen ihre Runden, ansonsten verirrt sich kaum jemand hier hinauf. Die Weltflucht ist perfekt.

Über den Dreilindensteig geht es später wieder zurück. Im alten Friedhof kannst du zum letzten Mal Luft holen, bevor du über das kleine Brückchen des Kapuzinerwegs hinter die Mauern der Hofkirche gelangst. Über die grosse Treppe schaust du auf das muntere Treiben des Schweizerhofquais – jetzt hast du wieder die Kraft dazu!


Erschienen in der Luzerner Rundschau, 13.02.2014

Phobophobie

Während sich Joséphine noch im Werbewahn wähnt, bin ich längst bei der Werbephobie angelangt. Nur dank der Werbung kaufen wir tonnenweise Müll, den wir gar nicht brauchen. Da werde ich grün und blau im Gesicht! Apropos Phobien: Am Dienstag fand laut Ronorp der nationale Anti-Phobientag statt. Eine Phobie beschreibt ja nichts anderes als eine Angst. Ängste wiederum sind etwa so individuell wie der Besitz eines iPads – denn es ist erstaunlich, wie viele anerkannte Phobien es tatsächlich gibt. Die Angst vor Spinnen, die Arachnophobie, ist ja ein Klassiker. Aber da gibt es weit skurrilere! Zum Beispiel die Paraskavedekatriaphobie, die die Angst vor dem Freitag, dem 13. bezeichnet! Die Angst vor der Zahl vier (Tetraphobie) gibt es genauso wie die Angst vor Clowns (Coulrophobie), Mundgeruch (Halitophobie) und Schusswaffen (Hoplophobie).

Die tagesaktuellsten Phobien sind paradoxerweise gar keine Phobien: die Homophobie (Putins Russische Hetero-Winterspiele lassen Grüssen) und die Xenophobie (Masseneinwanderungsinitiative). Obwohl auch da die Angst mitspielen mag, definieren sich die beiden Phobien über eine Feindlichkeit der Homosexuellen bzw. den Fremden gegenüber. Meine Werbephobie gehört auch in diese Kategorie, denn genau genommen ist es nun wirklich keine Angst vor Werbungen – ich kann sie schlicht und einfach nicht ausstehen!

Interessant sind ja auch geschlechterspezifische Phobien wie die Angst vor Frauen und Männern (Gynäkophobie bzw. Androphobie). Besonders am Valentinstag dürfte die Gynäkophobie Hochkonjunktur haben (wie nur all die Erwartungen dieser so fremd denkenden Spezies erfüllen?) und zu einer ausgeprägten Androphobie seitens der Frauen führen, deren Erwartungen mal wieder nicht erfüllt wurden.

Ob all dieser blumigen Gefühlsduselei an diesem willkürlichen Tag werde ich nicht nur werbephob, sondern gleich anthropophob. Damit sei dann die Angst (bzw. die Feindlichkeit) gegenüber den Menschen und der Gesellschaft im Allgemeinen beschrieben.


Erschienen in der Luzerner Rundschau, 30.01.2014

Nassrasur

Siebenmal die Woche zur genau gleichen Zeit den Fernsehen anschalten und drauflos glotzen? Ohne mich. Für solche Zeitkillermaschinen wie „Das Dschungelcamp“ habe ich nun wirklich keine Zeit. Spätestens seit Weihnachten, da habe ich nämlich von meinem Bruder ein klassisches Rasiermesser geschenkt bekommen.

Dieses Messer, mit einer Qualitätsklinge aus dem Hause Solingen, sieht wunderschön aus. Und es hat auch Vorteile, fiskalische wie ökologische, denn so ein Messer soll über mehrere Generationen weitervererbt werden können. Ich brauche also keine teuren Rasierklingen mehr zu kaufen, die viel zu bald abgestumpft im Mülleimer landen.

Doch Wikipedia schreibt zum Rasiermesser auch: „Jedoch bedarf die Benutzung eines Rasiermessers einer gewissen Übung, um Verletzungen zu vermeiden.“

So schwierig kann das nun auch wieder nicht sein, denke ich mir, nachdem ich mich bei Youtube fachkundig informiert habe. Da rasiert sich WILLIPETER99, ein Landsmann mit einem stattlichen Bartwuchs, innerhalb von weniger als vier Minuten. Inklusive Einschäumen! Ich brauche locker das zehnfache an Zeit und wirke vor dem Spiegel wohl ebenso elegant wie Gerard 
Depardieu im Russischen Ballett. Verletzt habe ich mich aber, Gott sei Dank, bei meinen zaghaften Versuchen noch nicht.

Machen wir die Rechnung auf: Würde ich mich täglich mit dem Messer, das man ohne weiteres als Mordwaffe missbrauchen könnte, rasieren – ich bräuchte fast genau so viel Zeit wie Joséphines Mitbewohner für «ihr» Dschungelcamp. Da ist mir das ungelenke hantieren vor dem Spiegel weit lieber. Vor allem, weil ich es nicht täglich zu tun brauche. Meine spärliche Gesichtsbehaarung, die Wissenschaft streitet sich noch darüber, ob man tatsächlich von Bartwuchs sprechen kann, lässt grüssen.


Erschienen in der Luzerner Rundschau, 16.01.2014

Saunapflicht

Und dienstags beame ich also bizarre Kebabs. Bizarr ist auch die Frage, ob Schwule sich erregt fühlen, wenn sie nach dem Sport mit anderen Männern unter der Dusche stehen. Die Frage stellte Thomas Schlittler in der Aargauer Zeitung einem schwulen Hobbysportler. Schlittler hackt nach: „Aber wenn ein Mann, der Ihnen gefällt, nackt vor Ihnen steht, dann löst das doch etwas aus?“ – „Können Sie nachvollziehen, dass einige heterosexuelle Männer Probleme haben mit dem Gedanken, dass ein Schwuler mit ihnen unter der Dusche steht?“ Die offensichtliche These hinter den Fragen: Der Schwule müsste aufgrund seiner Erektion und seiner lüsternen Blicke eigentlich einfach zu erkennen sein – ist er aber nicht, was es umso beunruhigender macht. Auf die Bemerkung, dass es auch gemischte Saunas gäbe, kontert Schlittler: „Das ist nicht vergleichbar, dort gehen Frauen wie Männer freiwillig hin. Sie wissen, was sie erwartet.“ Aber wissen sie das wirklich?

Dass der Saunabesucher weiss, was ihn erwartet, ist schlichtweg naiv. Genauso naiv, wie dem Fussballer im Umkehrschluss zu unterstellen, dass er gezwungen sei, mit seinen Mitspielern zu duschen, von denen er womöglich nicht weiss, ob sie homosexuell sind. Die sexuellen Präferenzen unserer Mitmenschen brauchen wir für einen natürlichen Umgang miteinander nicht zu kennen, sie ist etwas höchst Privates – und hat mit Nacktheit nur am Rande etwas zu tun. Wer schon einmal ein füdlibluttes, womöglich sogar attraktives Exemplar seines bevorzugten Geschlechtes in einer öffentlichen Situation gesehen hat, der weiss, dass Lust kontextgebunden funktioniert.

Natürlichkeit ist gefragt. Auch, oder gerade wenn wir uns nackt gegenüber stehen. Um das zu üben, verordne ich allen wöchentlich einen Pflichtbesuch in der gemischten Sauna. Fragen?


Erschienen in der Luzerner Rundschau, 05.12.2013

Ich sage Ja

Ich sage Ja zu einem letzten Glas Rotwein, Ja zum Schlummerbecher und zum Absacker. Ich sage Ja zum Leben und zur Ungewissheit, Ja zum Moment, Ja zur Liebe, Ja zum Kater, Ja zum Tod. Als Ungefragte kommen wir auf die Welt, als Ungefragte verlassen wir sie auch. Warum sich dazwischen die Mühe machen, dauernd Nein zu sagen?

Wir leben in einer Welt der Verbote, der Nein-Sager. Nein zum Rauchen, Nein zum Fressen, Nein zur Langeweile, Nein zur Sinnlosigkeit. Immer mehr unterliegen wir dem Wahn der Selbstoptimierung, dem Leistungsgedanken. Im Zuge dessen wird die Zeit gezwungenermassen zur Mangelware – „ich muss doch noch so viel machen!“

Ich aber sage Nein zur übertriebenen Selbstoptimierung, dafür Ja zu mir. Ja zu einem Tag auf dem Sofa, Ja zur Langeweile, Ja zur Unproduktivität. Erst in diesen Momenten der nur scheinbaren Unproduktivität werde ich zum Menschen, der sich mit sich selber auseinander setzen, der denken kann.

Ich vergleiche das Leben gerne mit einem Fluss. Der Fluss ist gegeben. Das Ziel auch. Irgendwo dazwischen fliesst es, das Leben. Man weiss aber nie genau, wo man sich gerade befindet.

Der Mensch hat nun die Möglichkeit, sich mit seinem Fluss anzufreunden. Viele nehmen diese Möglichkeit nicht oder erst spät an. Sie bauen Dämme, wollen den Fluss verzögern oder die Richtung ändern, sie stemmen sich gegen ihren Fluss – der früher oder später eben doch seelenruhig dorthin fliesst, wo er sowieso hin fliesst.

Darum sage ich Ja zu meinem Fluss, Ja zu meinem Leben, das mir ungefragt geschenkt wurde, und fliesse seelenruhig dem grossen Meer entgegen. Wie weit auch immer es noch entfernt sein mag.

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